Warum ein Engländer Österreichs Fußball liebt

Tim Armitage arbeitet als Fußball Analytiker für Football Radar
© GEPA

Seit über drei Jahren hat der Engländer Tim Armitage jedes einzelne Spiel der österreichischen Bundesliga gesehen - und trotzdem ist er verrückt nach dem heimischen Kick. Der 24-Jährige arbeitet als Analytiker für die Daten-Firma Football Radar. Aus seinem Job ist eine Leidenschaft geworden. Im SPOX-Interview erklärt er, was ihn an Österreich fasziniert und wer die meist unterschätzten Spieler sind.

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SPOX: Wann haben Sie angefangen, die österreichische Bundesliga zu verfolgen?

Tim Armitage: Im Oktober 2013. Es war purer Zufall. Im Prinzip wurde mir eine Beförderung angeboten. Mein Arbeitgeber Football Radar sucht einen Analytiker für die österreichische Bundesliga. Dafür hatten wir bis dahin keine Daten gesammelt. Also musste ich bei null beginnen und jede Menge österreichischen Fußball schauen.

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SPOX: Seitdem haben Sie jedes einzelne Bundesliga-Spiel gesehen?

Armitage: Stimmt genau - entweder live oder aufgezeichnet. Ich habe auch alle Cup-Spiele, die im Fernsehen oder Internet übertragen wurden, verfolgt. Dazu kommen unzählige Vorbereitungsspiele. So habe ich mir beispielsweise jede Testpartie von Sturm Graz der letzten vier Jahre angesehen, da diese über YouTube verfügbar sind.

SPOX: Warum tun Sie das?

Armitage: In erster Linie natürlich, weil es mein Job ist. Gleichzeitig wurde es aber zu meiner Leidenschaft. Ich habe Österreich mittlerweile einige Male persönlich besucht, um mir Trainingseinheiten und Spiele vor Ort anzusehen. Zudem habe ich mich mit dort lebenden Engländern getroffen, die mir die österreichische Kultur näher gebracht haben. Obwohl ich in London lebe und Newcastle-Anhänger bin, widme ich 90 Prozent meines Lebens dem österreichischen Fußball.

SPOX: Was macht Football Radar?

Armitage: Wir erarbeiten statistische Modelle, die die Schwächen und Stärken von Teams auf der ganzen Welt beschreiben. Ich bin einer von ca. 70 Liga-Analytikern, die von der zweiten Spielklasse in Brasilien bis zur australischen A-League alle möglichen Fußballländer unter die Lupe nehmen. Wir sammeln Daten, um sie an Kunden zu verkaufen - beispielsweise Scouting-Abteilungen von Fußball-Klubs.

SPOX: Was sagen Ihre Freunde zu Ihrer Leidenschaft?

Armitage: Sie meinen die Freunde, die mir noch geblieben sind? (lacht). Sie haben sich daran gewöhnt. Ich gelte mittlerweile als Österreich-Guru. Zuerst wurde mir gratuliert, dass die Hauptaufgabe meines Jobs ist, Fußball zu schauen. Mittlerweile mussten sie aber erkennen, dass es viel Aufwand ist. Ich arbeite an jedem Wochenende. Dazu kommt die intensive Zeit während der Saisonvorbereitung.

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SPOX: In Österreich blicken viele Fans sehnsüchtig nach England, die heimische Liga wird oft belächelt. Warum sind Sie so verrückt nach dem österreichischen Fußball, wo doch die Premier League vor der Haustür spielt?

Armitage: Bei meinem Lieblingsverein Newcastle (derzeit Zweitligist, Anm.) sitzen an jedem Wochenende über 50.000 Menschen im Stadion. Da hat es schon seinen eigenen Charme, wenn in Mattersburg 2.000 Leute zuschauen und manche davon sogar auf der Grünfläche hinter dem Tor picknicken. Ich mag diesen ländlichen Touch. In Österreich gibt es diese Märchen, die du in größeren Ligen nicht so leicht findest. Man beachte nur den Erfolg von Altach in dieser Saison oder die Story von Grödig - ein Dorfklub, der sich beinahe für die Europa-League-Gruppenhase qualifiziert hätte. Sobald man die Menschen dahinter kennenlernt, fesseln einen diese kleinen Geschichten.

SPOX: Sind Sie auch Fan der Nationalmannschaft?

Armitage: Ja. Bei der Europameisterschaft drückte ich Österreich statt England die Daumen. Ich habe mitgefiebert, als Alessandro Schöpf - ein unglaublicher Fußballer - den Ausgleich gegen Island gemacht hat. Nach der Niederlage war ich am Boden zerstört, während alle anderen Kollegen im Büro jubelten, weil Englands nächster Gegner Island hieß. Es wäre so schön gewesen, hätte Österreich im Achtelfinale gegen England gespielt.

SPOX: Was war die verrückteste Sache, die Sie im österreichischen Fußball miterlebt haben?

Armitage: Die Blasmusik der Admira-Fans ist definitiv etwas, an das man sich erst gewöhnen muss (lacht). Das kurioseste Ereignis war sicherlich der Flutlichtausfall bei Admiras Europa-League-Qualifikationsspiel gegen Liberec. Der Strom ging gerade aus, als Toni Vastic vom Platz gestellt wurde - so als wäre das aus Absicht passiert. Das war schon ein wenig surreal, zumal ich an diesem Tag 14 Stunden im Büro gesessen bin.

SPOX: Welcher Spieler hat Ihnen am meisten imponiert?

Armitage: Das ist schwierig zu beantworten (überlegt). Kevin Kampl und Naby Keita haben mich beeindruckt. Es ist schon etwas Besonderes, dank Red Bull so gute Mittelfeldspieler in der österreichischen Liga gesehen zu haben. Von den einheimischen Kickern gefiel mir Marcel Sabitzer am besten. Seinen Entwicklungssprung, den er bei Salzburg machte, war richtig groß. Es ist schade, dass manche Profis nicht länger in Österreich gespielt haben, beispielsweise Konstantin Kerschbaumer. Er hat sich bei der Admira hervorragend entwickelt, wechselte dann aber zu Brentford.

SPOX: Wer sind Ihrer Meinung nach momentan die besten Spieler der Liga?

Armitage: Puh. Ich möchte keine Reihung vornehmen, aber nenne ein paar Namen: Jonatan Soriano gehörte definitiv zu den Besten, wechselte nun aber nach China. Dazu kommen Alexander Grünwald, Andreas Lukse, Stefan Schwab und Philipp Netzer - er ist ein Schlüsselspieler für Altach. Vor der Winterpause hat er gegen Rapid eine unfassbare Leistung gebracht.

SPOX: In Österreich agiert Netzer ein wenig unter dem Radar. Welche anderen Spieler werden oft unterschätzt?

Armitage: Einer, den ich persönlich lange unterschätzt habe, ist Louis Ngwat Mahop. Aus dem Nichts hat ihn Damir Canadi im zentralen Mittelfeld gebracht und dort war er plötzlich unglaublich gut. Ein anderer Spieler, über den nur wenig gesprochen wird, ist Gerald Nutz vom WAC. Er kam aus Kapfenberg und zeigt dort konstant gute Leistungen.

SPOX: Welche Youngsters könnten demnächst den großen Durchbruch schaffen und bald in eine Top-Liga abwandern?

Armitage: Kelvin Arase hat nun schon einige Male für Rapid gespielt. Sollte er sich bei der ersten Mannschaft durchsetzen, wäre ich nicht überrascht, wenn ihm bald den Sprung in eine größere Liga gelingt. Dasselbe gilt für seinen Teamkollegen Maximilian Wöber. Bei der Austria habe ich Osman Hadzikic auf der Rechnung. Er hat für sein Alter bereits viele Bundesliga-Spiele am Buckel und könnte in einigen Jahren zu einem größeren Klub wechseln. Auch Dominik Prokop ist ein heißes Eisen. Für seine Entwicklung wäre es aber vermutlich besser gewesen, hätte Grünwald die Austria verlassen. Bei Salzburg beeindrucken mich Konrad Laimer und Xaver Schlager.

SPOX: Abschließend die wichtigste Frage: Wer landet am Saisonende auf Platz eins?

Armitage: Diese Saison ist die aufregendste, seitdem ich mich mit der Liga beschäftige. Die Salzburger werden sich den Meistertitel nicht nehmen lassen. Sie schießen zwar nicht so viele Tore wie in früheren Jahren, aber stehen defensiv enorm gut. Entscheidend war dabei der Verbleib von Paulo Miranda, nachdem Dayot Upamecano den Verein verlassen hat. Dazu haben sie mit Alex Walke einen verlässlichen Tormann. Es wird spannend, wer sich sonst noch in den Top drei platziert. Noch spannender scheint aber der Abstiegskampf zu sein. Ried ist in ernsten Problemen. Mattersburg und St. Pölten haben sich toll verstärkt. Vielleicht rutschen auch die Admira oder der WAC noch unten rein.

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