Justin Fashanu: Die tragische Geschichte des ersten schwulen Fußballers

Von Andreas Födinger
Justin Fashanu: Einmal Hölle und zurück.
© getty

Einmal Hölle und zurück. Die Geschichte des ersten offen schwulen Fußballers, der von Ruhm und Ehre träumt, sich am Ende aber mit einem homophoben Trainer und Scotland Yard herumschlagen muss.

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Justin Fashanu ist 19 Jahre alt, als sich der Traum eines jeden englischen Fußballjungen für ihn erfüllt: Er erzielt sein erstes Tor in Englands höchster Spielklasse, für seinen Verein Norwich City. Ausgerechnet gegen den FC Liverpool, der am Ende der Saison die Meisterschaft feiert. Es ist ein absolutes Traumtor: Fashanu gaberlt sich den Ball an der linken Strafraumgrenze selbst auf, dreht sich 90 Grad um die eigene Achse und versenkt die Frucht volley atemberaubend ins linke obere Eck des Liverpooler Schlussmanns Ray Clemence.

Ebenso ikonisch wie Fashanus Abschluss ist sein Torjubel. Er verzieht keine Miene, streckt lässig den Zeigefinger in die Höhe. "Schaut her, ich hab's gemacht", scheint er Kollegen und Fans gleichwohl zu suggerieren. Es ist die Geburtsstunde eines Helden, dessen Lebensgeschichte die erschütternden Tiefs und die berauschenden Hochs im Schnelldurchlauf abspulte. Eines Helden, der sein Leben lang das Rampenlicht suchte, um sich tragischerweise das Leben zu nehmen.

Der Glanz der Fußball-Glamour-Welt

Nach seiner ersten Profisaison wählt BBC One in der Sendung Match of the Day Fashanus Premieren-Treffer zum "Tor der Saison", der 19-Jährige erobert die Glamourwelt des Fußballs im Sturm. 1981 ist Nottingham Forest bereit, eine Million Pfund an Norwich zu überweisen, um sich die Dienste Fashanus zu sichern. Eine derart hohe Summe wurde vorher noch nie für einen Spieler mit schwarzer Hautfarbe bezahlt. Fashanu ist angekommen. Er gibt Interviews in Talkshows, lässt sich von Reportern in der Küche filmen und gibt zu Protokoll: "In zehn Jahren möchte ich berühmt sein und sehr, sehr viel Geld haben."

Fashanu, Sohn eines nigerianischen Rechtsanwalts, weiß gar nicht wie recht er damit hat. Schnelle Sportwagen, Glitzeroutfits und Fotoshoots mit Lifestyle-Magazinen folgen, der Stürmer ist auf bestem Weg eine Medienpersönlichkeit zu werden. Nur am Fußballplatz hapert's. Für Nottingham schießt Fashanu in seiner Premierensaison in 35 Spielen ganze drei Törchen, der jähzornige Trainer Brian Clough tobt über die Lässigkeit seines laxen Stürmers.

Die "verdammte Schwuchtel" sucht durch Jesus die Erlösung

Weil Fashanu nicht in Tritt kommt, lässt ihn Clough privat beschatten. Fashanu verkehre in Schwulenclubs, wird ihm nach einer Weile zugesteckt. Clough reagiert irritiert, seine Raubeißer-Arbeiter-Mentalität weiß nicht mit dieser sexuellen Orientierung umzugehen und so verunglimpft der Trainer seinen Stürmer vor versammelter Mannschaft und beschimpft ihn als "verdammte Schwuchtel".

Später wirft Clough Fashanu aus dem Kader. Als dieser aber doch zum Training erscheint, ruft Clough die Polizei, der Stürmer wird abgeführt. In seiner Biographie räumt der Trainer eine Mitschuld am tragischen Leben Fashanus ein: "Im Nachhinein glaube ich nicht, dass es falsch war, ihn auf seine sexuelle Orientierung anzusprechen. Aber ich hätte es im privaten Rahmen tun sollen."

Justin Fashanu bewegt sich schnurstracks auf die Hölle zu. Nach einer Verletzung am Knie verbringt er Monate in der Reha, zieht in die USA, eröffnet eine Schwulenbar in Los Angeles, schließt sich einer protestantischen Fundamentalisten-Gruppe an. Nur Jesus könne ihn erlösen, glaubt er zu dieser Zeit. Er vertraut den radikalen Predigern und versucht mit aller Gewalt, seine Homosexualität zu erdrücken, verleugnen, um schlussendlich doch stockbesoffen in einer Schwulenbar aufzuwachen und die innere Zerrissenheit zu spüren.

Das Coming-Out und die Folgen

Am 22. Oktober 1990 schließlich, ändert sich Fashanus Leben schlagartig. Die britische Boulevardzeitung Sun veröffentlicht ein Foto von ihm. Daneben prangt dick und fett, in schwarzen Lettern: "Ich bin schwul." Er hat es getan - Fashanu outet sich in der auflagenstärksten Boulevard-Zeitung des Vereinten Königreiches und wird damit der erste Profi-Fußballer überhaupt, der diesen Schritt wagt. Umgerechnet 94.000 Euro bekommt der Stürmer für die Geschichte, dieselbe Summe bot ihm sein Bruder, um das Coming-Out doch tunlichst zu unterlassen. Bruder John fürchtet sich vor Mobbing, vor homophoben Beschimpfungen: "Mein schwuler Bruder ist ein Ausgestoßener." Auch er sollte Recht behalten.

Nach dem Outing reißen sich die Medien um Fashanu. Er hatte es geschafft, das Rampenlicht leuchtet heller denn je auf den Fußballer. Talkshows, eine eigene Serie in der Sun, Fashanu sieht sich selbst als Pionier. Er berichtet von Sex mit Mitspielern, mit Popstars, oder davon, wie er einmal in einer Bar den britischen Tory-Abgeordneten Stephen Milligan abgeschleppt hatte. Doch das Blatt wendet sich. Die Medien ergötzen sich an der Rampensau-Geilheit Fashanus - Freunde, Mitspieler, alle wenden sich ab, bis er schlussendlich vom Gericht gezwungen wird, zuzugeben, dass die Geschichte mit Milligan eine Erfindung war, "um an Geld zu kommen."

Der letzte Ausweg

Fashanu wechselt weiter Länder wie Vereine, spielt in Neuseeland, in Schweden, in den USA. Dort versucht er 1998 als Trainer einer Amateurliga unterzukommen. Fashanu gibt den Macker, sonnt sich im Rampenlicht von Maryland Mania, liebt die Bewunderung, als er Bekannten erzählt, er wäre der Besitzer des Vereins. Einer dieser Bekannten ist Donald H., 17 Jahre alt, angetan vom Glanz der Lebensgeschichte seines britischen Kumpels. Justin veranstaltet eine Party in seiner Wohnung, man trinkt Bier, Joints werden gereicht, Fashanu ist der uneingeschränkte Star seiner eigenen vier Wände.

Zwei Tage später klingelt die Polizei bei Fashanus Wohnung. Sie fragen, ob er schwul sei und ob er Sex mit Donald H. gehabt hätte. Der irritierte Fußballer verneint beide Fragen, die Polizei verhört ihn, nimmt ihn aus Mangel an Beweisen allerdings nicht in Gewahrsam. Doch es ist zu spät. Der 17-Jährige bezichtigt Fashanu der Vergewaltigung, die Presse stürzt sich wie eine wildgewordene Hyäne auf den gefallenen Fußballstar, berichtet davon, Scotland Yard sei hinter ihm her.

Fashanu flüchtet zurück nach Großbritannien, nimmt den Mädchennamen seiner Mutter an und zieht in den Stadtteil Shoreditch. Am 2. Mai 1998 geht Fashanu in eine Schwulenbar, lässt sich und das Leben feiern, Augenzeugen berichten von seiner außergewöhnlich guten Laune. Der nächste Morgen erwacht ohne den Kicker. Die Polizei findet den jetzt 37-Jährigen in der Frühe des 3. Mai, baumelnd an einem Holzbalken einer Garage. Fashanu hat sich erhängt. Ein Abschiedsbrief wird veröffentlicht: "Wenn irgendjemand diese Notiz findet, bin ich hoffentlich nicht mehr da. Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart. Ich will sagen, dass ich den Jungen nicht vergewaltigt habe." Das Rampenlicht hat ihn nun für immer. Am selben Tag stellt sich heraus, dass es sich bei der Meldung um Scotland Yard um einen Irrtum handelte.

Frühere Vereine von Justin Fashanu

SaisonVerein
91/92Newcastle United
89/90West Ham United
88/90Manchester City
82/93Southampton